LIMNOLOGIE (Gewässerkunde)


ÜBER UNDINEN UND MELUSINEN

Immer wieder stößt man in der Literatur - nicht bloß unter Laien, sondern durchaus auch bei Fachleuten - auf eine Gleichsetzung der UNDINE mit der MELUSINE. Zwar handelt es sich bei beiden Wesen um weibliche Bewohnerinnen des Wassers, zwar kommen beide gleichermaßen in stehenden wie fließenden Gewässern vor (wobei in ersteren öfter eine Melusine, in letzterem dagegen in jüngerer Vergangenheit fast ausschließlich Undinen nachzuweisen waren), zwar unterhalten beide ein problematischesVerhältnis zum männlichen Menschengeschlecht und haben dadurch vielfach Beachtung im volkstümlichen Brauchtum wie in der hohen Literatur gefunden, jedoch weisen die beiden Arten charakteristische Eigentümlichkeiten auf, die eine Verwechslung ausschließen sollten. Daher scheint es an dieser Stelle bedeutsam, auf einige dieser Unterschiede hinzuweisen.

Bei der UNDINE handelt es sich um ein Wesen, dessen Ursprung - wenn auch immer wieder nur bruchstückhaft nachweisbar und überliefert - im Großen und Ganzen herleitbar ist. Die UNDINE ist der Abglanz eines entkörperlichten weiblichen Menschen, d.i. dessen Geist, der sich den Schein eines neuen Körpers gegeben hat. In der Regel handelt es sich hierbei um einen weiblichen Menschen, der - in seiner herkömmlichen Gestalt - (noch) keinen Geschlechtsverkehr hatte - mit anderen Worten: um eine Jungfrau. Deren Jungfräulichkeit ist im Fischschwanz der UNDINE gleichsam - gezeigt. Wie die Geistwerdung der späteren Undine zusammenhängt mit dem Scheitern ihres noch jungfräulichen Begehrens in der Menschenwelt, mit bigotter elterlicher Moral, männlicher Zurückweisung oder versuchter Vergewaltigung, dies kann an dieser Stelle nicht mit der gebotenen Differenzierung belegt werden. Jedoch trägt die UNDINE immer das verneinte Begehren der Jungfrau als Wut in sich und kehrt es gegen den Mann. Den sucht sie lockend in ihrem Gewässer zu ertränken, was ihr nicht selten gelingt. Dass ihre Natur ihr versagt blieb, kehrt sie gegen den natürlichen Gefährten, dessen Begehren sie in den Tod schickt. Als Erlösung kennt die Sage allein das romantische Gefühl der Liebe. Entbrennt es in der UNDINE, so ist sie als solche verloren. Sie wird ein Menschenweib. Und alle Männer werden ihr Hans. Die versprechen die Liebe, die sie nicht halten können (wie das Wasser). Denen genügt sie nie. Die genügen ihr nicht. Ihre Eifersucht treibt schließlich die UNDINE ins Verderben. Mit blutenden Wunden rettet sie sich ins Wasser zurück.

Reden wir nun von MELUSINEN.

Die MELUSINE gleicht der UNDINE nur äußerlich. Und auch hier schon vermag der erfahrene Betrachter Unterschiede wahrzunehmen. Sind die Hüften der UNDINE fast immer knabenhaft schmal, so zeichnen sich bei der MELUSINE in der Regel unverkennbar die Kurven ab, die das Gebären dem Körper der Frau aufprägt. Damit ist klar: Wir haben es bei der MELUSINE mit einem Wasserweib zu tun, das eben keine Jungfrau blieb. Die MELUSINE ist Mutter und wir kennen einige, die es mehrfach wurden, ja umgekehrt können wir bei näherer Beschäftigung mit der Thematik nicht auf eine verweisen, die bloß e i n Kind in die Welt setzte. Die MELUSINE  also lässt sich mit dem Manne nicht ein aus Rache, auch treibt sie kein romantischer Liebeswahn. Die MELUSINE liebt, empfängt und gebiert. Ihren Kontakt zum Menschenmann prägt das Verlangen nach seinem Samen, durch den sie in sich ihn fortpflanzt. Söhne setzt MELUSINE in die Welt, Träger des Vaternamens und der Urgewalt der Mutter: meerschaumgekrönte Söhne, an denen die menschlichen Väter regelmäßig versagen. So kommt es zum Bruch. Denn der Menschenvater kann die HERRlichkeit der unmenschlichen Mutter nicht ertragen in seinen Söhnen. So verrät er sie denn, bricht das Tabu, das offenbart, wer sie ist: keine Frau, sondern MEERWEIB, im Drachenschwanz geborgen, was d e n Mann ausmachen könnte, der anders ist als jener, den sie zur Zeugung hernahm. Doch kann sie selbst nicht bleiben, wie die Geschichten zeigen, diesen sich zu erziehen. Die Söhne werden ihr entrissen durch den grausamen Verrat. Die Urmutter Lilith (erst später in die einfältige Eva verwandelt) kehrt in MELUSINENS Gestalt auf diese Weise in die Sagen zurück: die wissende Schlange. Doch nur aus der Ferne behütet sie ihre Kinder. Im Wind, der um die Betten der Söhne streicht, hören diese noch das Fauchen der entfremdeten Mutter.

In Menschengestalt jedoch hält Melusine als ihre Schwester den Kopf gesenkt und die Hände gefaltet. In der Nacht stopft sie die Decke fest um ihren verweigernden Körper.

MELUSINE - meinen wir schlussfolgern zu können - versteckt sich im SEE.

Es können an dieser Stelle nicht alle Unterschiede und erst recht nicht die vielen Gemeinsamkeiten der beiden Arten beleuchtet werden. Beider Geschichte endet - wie oben dargestellt - im Wasser, wo sich jedoch keine Leiche findet. Doch erinnert sich die UNDINE ganz anders des Mannes als die MELUSINE.  Daher wird die Geschichte der UNDINE auch eine andere Fortsetzung verlangen als jene der MELUSINE.

Post scriptum
Einer gab den Melusinen-Namen herausfordernd der jungfräulichen Witwe, der Empfängnisverweigerin, die noch in ihrem letzten Wort die Fortpflanzung für überflüssig erklärt. Doch stellte er ihr - andererseits - die Schwester zur Seite, von der gesagt wird, die ZUKUNFT liege bei ihr.