20110313

SESSION (I´d dive for your memory)

Berlin, 16. September 2009, 21.12 Uhr (CET, Central European Time)


If the cliff were any closer
If the water wasn´t so bad
I´d dive for your memory
On the rocks and sands

Tomasz drehte den Regler auf: comecomecomecomecomecome. Annies und Karims Stimmen, die sich antrieben, eins wurden, sind: sie kommen, sie fahren in einem Zug, WIR. Karim in TRAIN SPACE gelangt hinein in Annie, verschmilzt mit ihr, so wie er, wie Tomasz es ersehnt, begehrt, wenn er sie in vergewaltigender Umarmung gegen die Wand drängt, in sie stößt, wenn er sie keuchend auf der Liege begattet, so gierig, so gewalttätig, so hilflos, weil er nie ankommt, sie nie erreicht, weil sie, egal wie tief sich ihre Nägel in seinen Rücken graben, wie laut sie schreit, doch immer die bleibt, die er nicht findet, nicht kennt, nicht versteht, weil sie, wenn sie ihm verwundet in die Augen aufschaut, ihm so fremd ist, dass er sie schlagen möchte: Annie, Annie, Annie – wer bist du? Sie hebt die Hand, sie will seine Wange streicheln, sie sieht seinen Blick, sie senkt die Lider, sie verbirgt sich hinter den Wimpernschlägen. Annie. Fuck you.

Karim hatte in der Tür des Hinterhofstudios gelehnt, erschöpft, sich eine Zigarette angezündet, den Kopf zurückgelehnt und Annie zugeschaut, die ihren Rucksack aufsetzte. Verschwitzt waren sie gewesen, die T-Shirts an den Rücken nass, die Haare verstrubbelt, als hätten sie miteinander getrieben, was Annie und er, Tomasz, letzte Nacht tatsächlich getan hatten. Ahnte Karim es? Tomasz war sich nicht sicher. Doch, dachte er, er kennt mich gut genug, er weiß es. Als Annie gegangen war, hob Karim den Kopf: „Great. She´s unbelievable. Greatest session I´ve ever had.“ Tomasz nickte. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte dem Freund die Faust ins Gesicht geschlagen. TRAIN SPACE. Karim hatte Recht. So etwas hatten sie noch nie eingespielt. Was zwischen Karim und Annie geschehen war, das Treiben, das Finden, die Lust, die Fahrt, die Trommelwirbel, die Bässe, das Anrufen und Widerrufen, die Echos und schließlich die Verschmelzung der Stimmen, das Ausklingen des Räderwerks, die endliche Beglückung – der Song hatte alles in sich aufgenommen, in diese Aufnahme gesogen, die genial war, das wusste Tomasz. Es war sein Song, ein guter Song, melodiös und schräg zugleich, verspielt am Anfang, dann hektisch, Rhythmen variierend, Beschleunigung, Refrain, Ausklang. Aber so wie Karim und Annie ihn  gespielt hatten, konnte er nie wieder gespielt werden. Das war unwiederholbar. Er hatte es aufs Band fixiert, dieser Moment war verewigt, bleibend gemacht durch seine, Tomasz, Technik. Er hatte die Frau, die er liebte, um eines Liedes willen an einen anderen vergeben. An Karim, der den Vogel singen hörte. „There was the kookaburra and you heard him sing my songs.“

I´d dive for you
Like a bird I´d descend
Deep down I´m lonely
And I miss my friend

Karim wusste sofort, wovon er sprach. Jener Sommer im Outback lag zwanzig Jahre zurück. Karim hatte den Vogel lachen hören und Tomasz´ Stein hatte ihn vom Ast geschleudert. „You killed it...“ Karim drückte seine Zigarette aus und packte ein. „It´s her. It´s Annie. You´re gonna hurt her, too, Tomasz.“ Tomasz antwortete nicht. Was sah er in Annie? Das Unberührbare, das er immer schon hatte besitzen wollen. Aber sie ließ sich nicht nehmen, egal, wie sehr er sie sich unterwarf. Sie wollte aufgenommen sein. Und Karim hatte es getan. Karim verwirklichte, was er, Tomasz, erfand: Das war der Pakt. Comecomecomecomcomecomecome. Annie war hineingeraten in dieses Spiel: Himmel und Hölle. Engel und Teufel.  Fuck you, Annie.

Now, I dive black waters
The waters of her dream
Are black and forgetful
I´d like to make them clean